„Das Verhebetrauma“ – wie ist die Rechtslage?
1. Der Steinmetzfall/Grabsteinfall (Was macht einen Unfall/ Arbeitsunfall aus?)
(BSG, Urteil vom 12. April 2005– B 2 U 27/04 R–, BSGE 94, 269-273, SozR 4-2700 §8 Nr. 15)
Sachverhalt:
Der Steinmetz (S) will in Ausführung seiner Arbeit einen Grabstein anheben. Dieser ist aber unerwarteter Weise am Boden festgefroren. Bei dem Versuch diesen anzuheben zieht sich S eine Verletzung zu.
S klagt auf Anerkennung eines Arbeitsunfalls.
a) Warum ist die Anerkennung in diesem Fall ein Problem?
Die Berufsgenossenschaft (BG) lehnte den Arbeitsunfall ab, weil kein Unfallhergang vorläge.
Nach §8 Abs.1 S.2 SGB 7 sind Unfälle, zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.
aa) Aus der Sicht der BG ist das Hochheben eines Gegenstands keine Einwirkung von außen, die auch nicht plötzlich eingetreten ist. Die BG legt den Begriff der Einwirkung von außen so aus, dass eine Einwirkung immer sichtbar von außen kommen muss.
Demnach wäre das Fallen eines schweren Steins auf den Fuß, ein Unfall. Aber das Hochheben eines solchen Steins nicht, da nichts sichtbar auf den Körper von außen einwirkt.
bb) Das Bundessozialgericht (BSG) hingegen, legt den Begriff der Einwirkung von außen, weiter aus. Nach dieser Meinung ist als Einwirkung von außen, jede Einwirkung zu sehen, die auf den Körper einwirkt. Egal ob sie sichtbar oder unsichtbar ist.
Danach wäre auch das Hochheben eines schweren Steins und die dadurch verursachte Verletzung als Unfall anzusehen. Der Stein wirkt mit seinem Gewicht auf den Körper des Hebenden ein.
Das BSG begründet dies mit dem Verweis auf das 3. Newtonsche Gesetz, welches besagt, dass Kräfte immer paarweise auftreten.
cc) Zudem lehnt die BG das Vorliegen eines Unfalls ab, weil die Einwirkung den S nicht plötzlich bzw. unerwartet traf.
Die Unfreiwilligkeit der Einwirkung bei dem, den das Geschehen betrifft, ist dem Begriff des Unfalls immanent, weil ein geplantes, willentliches Herbeiführen einer Einwirkung dem Begriff des Unfalls widerspricht (BGSE 61, 113, 115 SozR 2200 §1252 Nr. 6 S 20)
Nach der Meinung der BG kann das Einwirken im vorliegenden Fall gar nicht unfreiwillig sein, da der S den Stein ja bewusst anhob.
dd) Das BSG lehnt aber auch diese Ansicht ab. Das Einwirken war dadurch unerwartet, da der Stein unerwarteter Weise festgefroren war und somit eine deutlich größere Kraft auf den S einwirkte.
b) Ergebnis
Ob ein Unfall im Sinne des §8 Abs.1 S.2 SGB 7 vorliegt, hängt also letztlich von 3 Faktoren ab.
- Eine Kraft muss, auch wenn nur theoretisch, von außen auf den Körper einwirken.
- Diese Einwirkung muss unerwartet auftreten.
- Es muss durch die Einwirkung eine Verletzung entstehen.
Erst wenn all diese Voraussetzungen erfüllt sind kann man von einem Unfall sprechen.